Cottbus-Lexikon

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Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg - Blinde Flecken?

Am 19. September 1949 wurde der ehemalige Prokurist der Cottbuser Gleis- und Tiefbaufirma Richard Reckmann durch das Landgericht zu sieben Jahren Haft verurteilt. Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, für die Misshandlung polnischer Zwangsarbeiter während des Krieges verantwortlich gewesen zu sein. Das Urteil verdeutlicht, dass 30 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg erneut Menschen anderer Nationalitäten zur Arbeit in Cottbus gezwungen worden waren. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass sich durch die rassistische Ideologie des NS-Regimes die Behandlung der Gefangenen mehr als verschlechtert hatte und das Leben der osteuropäischen ArbeiterInnen nicht viel wert war.

Bereits 1940 waren die ersten polnischen Kriegsgefangenen in Cottbus eingetroffen, um in den lokalen Betrieben eingesetzt zu werden. Ihr Status als Kriegsgefangene wurde 1940 unrechtmäßig aufgehoben, um sie als »Zivilarbeiter« – eine verharmlosende Bezeichnung von Zwangsarbeiter – auch in der Rüstungsindustrie einzusetzen. Damit gehörten sie zu dem riesigen Heer von mehr als 13 Millionen ZwangsarbeiterInnen, die das NS-Regime für seine Kriegsanstrengungen in allen besetzten Ländern mobilisierte. Auch in Cottbus zeigte sich jene Diversität der Staatsangehörigkeit. Menschen aus Polen, der Tschechoslowakei, der Sowjetunion, Estland, Lettland, Litauen, der Ukraine, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Kroatien, Ungarn, Dänemark, Serbien und Belgien wurden hier zur Arbeit gezwungen.

Eingesetzt wurden die ersten polnischen ZwangsarbeiterInnen zunächst vor allem in der heimischen Industrie. Untergebracht waren sie entweder in unmittelbarer Nähe ihrer Arbeitsplätze oder in Privatquartieren. Ein Kontakt zur Bevölkerung war ihnen jedoch strengstens untersagt, was von den Behörden genauestens kontrolliert wurde. Zudem mussten sie in der Öffentlichkeit ein weithin sichtbares Nationalitätenzeichen – das sogenannte Polenabzeichen – tragen.

Mit der Niederlage der Wehrmacht vor Moskau im Dezember 1941 und den damit verbundenen intensivierten Rüstungsanstrengungen stieg die Zahl der ZwangsarbeiterInnen drastisch. Bis zum November 1944 sollte ihre Zahl auf mehr als 5500 ansteigen. Ein Grund war unter anderem die Verlegung der Rüstungsindustrie in die weniger luftgefährdeten Gebiete des »Reiches«. So wurde 1942 ein Werk der Focke-Wulf-Flugzeugbau GmbH von Bremen nach Cottbus verlegt, in dem Flugzeuge für die Luftwaffe gefertigt wurden. Hier arbeiteten vor allem französische Staatsangehörige, die mit knapp 800 Personen die zweitgrößte Gruppe der ZwangsarbeiterInnen in der Stadt stellten.

An ihnen wird auch die rassistische, grausame Hierarchie in der Behandlung der ZwangsarbeiterInnen offenkundig – eine Hierarchie, die sich ansatzweise schon im Cottbuser Kriegsgefangenenlager des Ersten Weltkrieges gezeigt hatte. An der Spitze der Rangordnung standen aufgrund ihrer »germanischen Abstammung« die nord- und westeuropäischen Nationalitäten. So waren die Franzosen in ihrer Entlohnung deutschen Arbeitern nahezu gleich gestellt, konnten sich verhältnismäßig frei bewegen oder durften einige wenige Gaststätten besuchen. Am Ende der Hierarchie standen italienische, polnische und sowjetische Staatsangehörige. Vor allem die sowjetischen »Ostarbeiter« – ehemalige Kriegsgefangene oder Verschleppte aus den besetzten Gebieten – standen in einem rechtlosen Status und erhielten eine äußerst schlechte Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie kaum medizinische Behandlung. Zudem mussten sie den Großteil ihres »Lohns« als Mietabgaben für das Bewohnen der Lagerbaracken entrichten. Bei Widerstand oder Ungehorsam sollte sofort von der Waffe Gebrauch gemacht werden. Dies führte zu einer enorm hohen Sterberate unter dieser Gruppe. Davon zeugt noch heute ein Sammelgrab mit 120 sowjetischen Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen auf dem Friedhof Ströbitz. Das Verhalten der Cottbuser Bevölkerung gegenüber den Internierten war ambivalent. Neben Anfeindungen und Denunziationen deuten einige wenige Verfahren gegen Cottbuser Einwohner wegen des verbotenen Umgangs mit Zwangsarbeitern darauf hin, dass sich nicht alle an die verbrecherischen Gesetze hielten.

Quellen:

Christl, Andreas u.a.: Geschichte der Stadt Cottbus. Cottbus 1990. | Häfner, Daniel; Müller, Bernd: Cottbus befreit! Täter, Opfer, Widerstand im "Dritten Reich" | Rückert, Jutta; Rückert, Otto: Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Cottbus (1939-1945). In: Niederlausitzer Studien. 28 (1997).

Autor: Paul Fröhlich

Bildquelle: Ausweis (Carte de Deporte du Travail) eines französischen Zwangsarbeiters, (c) Thomas Richert

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