Cottbus-Lexikon

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Vertragsarbeiter - Vom Kommen und Gehen

»Die Cottbuser Arbeiterinnen haben ihre vietnamesischen Kolleginnen liebgewonnen, schätzen deren Fleiß, Willen, Auffassungsgabe und Einsatzbereitschaft« lautet die Bildunterschrift eines Pressefotos, das Anfang 1989 im Textilkombinat Cottbus (TKC) geschossen worden war. Es zeigt eine ältere Qualitätskontrolleurin, die sich mit einer jungen vietnamesischen Arbeiterin unterhält. Nur ein Jahr später standen beide vor den Trümmern der sozialistischen Planwirtschaft und gingen nach der Schließung des Kombinats getrennte Wege. Für die junge Vietnamesin wie für viele andere VertragsarbeiterInnen stellte sich mit dem Ende der DDR jedoch die Frage: Bleiben oder Gehen?

Insgesamt fast 200.000 Vertragsarbeiter aus sozialistischen »Bruderländern« kamen ab 1965 in die DDR. Aus arbeitsmarktpolitischen Gründen – zwischen 1950 und 1970 hatten etwa 2,4 Millionen Menschen die DDR verlassen – sah man sich gezwungen, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben. So kamen Menschen aus Polen, Ungarn, Algerien, Kuba, Mosambik, Vietnam, Angola, Jugoslawien, China, Nicaragua, der Mongolei und anderen Staaten, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Stand zunächst deren Qualifizierung und Ausbildung im Vordergrund, wurden im Laufe der Zeit zunehmend unqualifizierte, billige ArbeiterInnen gesucht, um gefährliche oder monotone Arbeiten in den Betrieben durchzuführen, die von DDR-BürgerInnen nur noch ungern geleistet wurden. Eingesetzt wurden sie vor allem in der Textil‑, Energie‑, Chemie‑ und Bergbauindustrie. Vor diesem Hintergrund war Cottbus natürlich ein »Hotspot« beim Einsatz von VertragsarbeiterInnen.

Auch wenn laut offizieller Stimme der DDR die VertragsarbeiterInnen als willkommene Gäste in das Land kamen, war ihre gesellschaftliche Integration vor Ort durch die Behörden nicht gewollt. Die zumeist jungen, ledigen und männlichen Vertragsarbeiter – nur 15 Prozent waren Frauen – wurden daher isoliert in Heimen untergebracht. Ihnen standen vertragsmäßig selten mehr als 5 Quadratmeter Wohnfläche zu, so dass sich häufig drei oder mehr Personen ein Zimmer teilten. Als Einheimischer erhielt man nur Zutritt, wenn man sich am Einlass ausweisen konnte. Der Austausch mit den »Fremden« war folglich staatlich reglementiert, auch wenn er nicht vollständig verhindert werden konnte. Gerade jene häufig nur losen gesellschaftlichen Verbindungen sollten in der Umbruchzeit nach 1989 ein Grund für einen extremen Stimmungswechsel gegenüber den Vertragsarbeitern sein.

Zu den ersten von mehreren tausend VertragsarbeiterInnen im Bezirk Cottbus gehörten polnische Frauen und Männer. Der Großteil von ihnen – 1975 waren es bereits mehr als 3300 – arbeitete im Chemiefaserwerk in Guben und im Kombinat Schwarze Pumpe. Der bedeutendste Arbeitgeber war das Kraftwerk Jänschwalde. Hier arbeiteten neben Polen auch viele Vietnamesen, die ab den Achtzigerjahren zur größten Gruppe unter den VertragsarbeiterInnen aufstiegen. Untergebracht waren die »Jänschwalder« in den umliegenden Städten – 1950 Personen allein in Cottbus. Zu den größten Arbeitgebern in der Stadt selbst zählten das Textil- sowie das Fleischkombinat. Im VEB Fleischkombinat Cottbus waren vor allem Mosambikaner, im TKC Vietnamesinnen und Polinnen eingesetzt. Untergebracht waren sie in Wohnheimen, die sich häufig in der Nähe ihrer Arbeitsstätten befanden. Die Polinnen genossen hierbei ganz eindeutig einen Vorteil: Während VertragsarbeiterInnen aus Asien und Afrika keine partnerschaftlichen Beziehungen eingehen sollten und Frauen bei einer Schwangerschaft in ihre Länder zurückgeschickt wurden, durften Polinnen ihre Kinder mit in die DDR bringen. So waren einige Kinder im Kinderheim des Textilkombinats untergebracht.

Die Frage nach dem »Bleiben oder Gehen« stellte sich 1989 für die knapp 94.000 VertragsarbeiterInnen in DDR. Die meisten entschieden sich für das Gehen, da ein Bleiben enorme Herausforderungen mit sich brachte bzw. mit dem Auslaufen der Verträge die Abschiebung drohte. Für jene, die blieben, wurde zunächst die Wohnungssituation desaströs: Da die Wohnheime den zumeist abgewickelten Kombinaten gehörten, wurden den VertragsarbeiterInnen bald nach der Wende die Wohnung gekündigt. Zudem hatte ein gegenüber den VertragsarbeiterInnen bereits in der DDR erkennbarer Rassismus in der Umbruchzeit nach 1989 eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz gefunden. Auf diesem Boden ereigneten sich die Angriffe unter anderem auf die Asylbewerberheime in Hoyerswerda, Rostock und im August 1992 auch in Cottbus. Trotz beständiger Übergriffe blieben vor allem vietnamesische VertragsarbeiterInnen in der Region und bauten sich in den Nachwendejahren mühsam aber erfolgreich eine Existenz auf. Von ihrem Bleiben zeugen nicht nur zahlreiche Geschäfte, sondern auch mehrere lokale Vereine wie der »Verein der Vietnamesen in Cottbus und Umland« oder der »Deutsch-Afrikanische Verein Cottbus«.

Quellen:

van der Heyden, Ulrich: Mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR-Wirtschaft. Hintergründe - Verlauf - Folgen. Berlin 2014. | Illgen, Katha: Erfahrungsräume und Lebensgeschichten - Vietnamesen in der DDR und in den neuen Bundesländern. Jena 2013. | Kletzin, Birgit: Fremde in Brandenburg. Von Hugenotten, sozialistischen Vertragsarbeitern und rechtem Feindbild. Münster 2003. | Oltmer, Jochen: Migration vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Berlin / Boston 2016.

Autor: Paul Fröhlich

Bildquelle: Garnspulen aus dem Textilkombinat Cottbus, (c) Thomas Richert

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