Cottbus-Lexikon

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Flüchtlinge zwischen Kriegsende und Neubeginn

Als am 19. April 1945 Verbände der Roten Armee die Cottbuser Stadtgrenze erreichten, war bereits eine erste kriegsbedingte Flüchtlingswelle über die Stadt gezogen. Mitte Januar hatten erste Flüchtlingstrecks aus dem Osten halt gemacht, um wenig später – von der Front verfolgt – weiter nach Westen zu ziehen. Dies sollte jedoch nur der Auftakt zu einer Migrationsbewegung sein, die in ihrer Dimension die Stadt vor ungeahnte Folgen stellte.

Nachdem die Front über Cottbus weiter Richtung Berlin gezogen war, glich der Ort einem Trümmerfeld. Knapp 60 Prozent aller Gebäude waren zerstört oder beschädigt, weder die städtische Infrastruktur noch irgendwelche Behörden funktionierten. Von den zu Kriegsbeginn noch 55.000 Einwohnern lebten Ende April 1945 nur noch 6.000 bis 8.000 Menschen zwischen den Ruinen. Die Stadt war somit in keinerlei Maße auf die nun folgende Flüchtlingswelle vorbereitet. Aufgrund der schnell wieder hergerichteten Bahnverbindung nach Osten wurden nach Kriegsende Woche für Woche tausende Flüchtlinge durch Cottbus geschleust, die aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße sowie aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden. Allein im Zeitraum Juni/Juli 1945 sollen laut einem Bericht des Landratsamtes 150.000 Menschen, insgesamt etwa 1,5 Millionen durch den Kreis Cottbus gekommen sein – Cottbus war zu einer Flüchtlingsdrehscheibe geworden.

In Güterwaggons, auf Fuhrwerken oder zu Fuß gelangten die Flüchtlinge in die Stadt, um zumeist am Bahnhof auf Verpflegung oder eine Weiterfahrt nach Westen zu hoffen. Beides konnte durch die Sowjetische Militäradministration und die im Aufbau befindlichen Behörden nur völlig unzureichend organisiert werden. So versuchte die völlig überfüllte Stadt die Aufnahme weiterer Vertriebener zu verhindern und die bereits anwesenden in angrenzende Kreise abzuschieben. Parallel wurde in den umliegenden Dörfern Auskämmaktionen zur Beschaffung von Lebensmitteln durchgeführt. Die Situation blieb für die durchziehenden und von den Strapazen gekennzeichneten Flüchtlinge jedoch außerordentlich prekär. Hunger und Krankheiten führten vor allem unter Alten, Schwachen und Kindern zu einer hohen Sterblichkeit. In einem Pfarrschreiben notierte man entsetzt, dass im Juli 1945 »in Cottbus täglich allein an Kindern 15! im Durchschnitt« starben. Insgesamt waren »Tage mit 40 bis 50 Beerdigungen keine Seltenheit«. Teilweise wurden die Verstorbenen noch vor Ort auf dem Bahnhofsgelände notdürftig beigesetzt. Um der Situation zumindest etwas entgegenzusetzen, begann man die Flüchtlinge in den wenigen unversehrten Gebäuden der Stadt unterzubringen, womit sie jedoch in Konkurrenz um Verpflegung und Unterkunft zu den ansässigen und zurückkehrenden Einwohnern traten. So wurde in der Tuchfabrik C.S. Elias am Ostrower Damm ein Auffanglager für 3000 Menschen eingerichtet.

Da unter den Flüchtlingen teils noch über Jahre die Hoffnung bestand, in ihre Heimat zurückkehren zu können, blieben sie in der Nähe zur Neiße. Zudem vergrößerte sich ihre Anzahl beständig. Lebten in Cottbus im September 1945 knapp 11.500 Flüchtlinge, so stieg deren Zahl bis zum Juni 1947 auf 18.300, so dass damit fast die Hälfte der Cottbuser Bevölkerung stellten. Im Gegensatz zur alteingesessenen Bevölkerung verbesserte sich ihre Lage nur sehr schleppend. Noch 1948 nahm man in der Stadtverwaltung zur Kenntnis, dass die Unterbringung noch immer unzureichend sei. Viele verfügten über keine Betten und mussten auf dem Boden schlafen. Auch die soziale und wirtschaftliche Integration der Flüchtlinge verlief in der Nachkriegszeit nur schleichend. Zwar wurden zahlreiche Umschulungen zu Facharbeitern für den lokalen Bedarf durchgeführt und die Kinder von Flüchtlingen im Unterricht und in der Schulspeisung besonders gefördert. Jedoch war ihre fremde Herkunft und andersartige Kultur der Grund für eine ausdauernde Grenzziehung und Abwehrhaltung der Alt-Einwohner und Behörden. Beispielsweise wurde ihnen durch ein polizeiliches Verbot 1947 der Versuch unterbunden, mit dem »Verein für Ostumsiedler« eine eigene Interessenvertretung zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu schaffen. Auch erwiesen sich die sozialen und wirtschaftlichen Aufstiegschancen in den Folgejahren als wenig aussichtsreich, so dass die einstigen Flüchtlinge seltener Führungspositionen als Alteingesessene einnahmen. Diese weit verbreiteten Tendenzen in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. in der DDR führten dazu, dass ehemalige Flüchtlinge bis zum Mauerbau überproportional häufig in den Westen immigrierten.

Quellen:

Christl, Andreas u.a. Geschichte der Stadt Cottbus. Cottbus 1990. | Krauss, Marita (Hrsg.): Integration. Vertriebe in den deutschen Ländern nach 1945. Göttingen 2008. | Oehlsen, Sven Olaf: Vertriebenenlager in Brandenburg 1945-1953. Potsdam 2006. | Schwartz, Michael: Vertriebene und "Umsiedlerpolitik". Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945-1961. Oldenburg 2004.

Autor: Paul Fröhlich

Bildquelle: Handwagen des Herrn Wolfgang Wiesner, (c) Thomas Richert

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