Cottbus-Lexikon

Zurück

Erster Weltkrieg und die großen Lager

Migration ist zumeist ein selbstbestimmter, zielgerichteter Vorgang. Eine Ausnahme bildete in Cottbus das Kriegsgefangenlager zwischen 1918 und 1920, das sowohl die Garnison als auch die Stadt selbst vor große Herausforderung stellte. Ganz unfreiwillig war damit die Welt zu Gast in Cottbus.

Bereits Ende August 1914 – der Krieg war noch nicht einmal einen Monat alt – traf bei Oberbürgermeister Hugo Dreifert die Meldung ein, dass die Militärbehörden beabsichtigen, »in unserem Stadtgebiet nötigenfalls bis zu 10.000 Kriegsgefangene unterzubringen«. Tatsächlich trafen bereits am 4. September in der noch unvorbereiteten Stadt etwa 7.000 russische Soldaten mit der Eisenbahn ein, die bei der Schlacht von Tannenberg gefangen genommen worden waren. Ihr noch provisorisches Lager fanden sie auf dem Gelände der Rennbahn bei Sielow im Norden der Stadt. Nach der Mobilmachung und dem Abmarsch des Infanterie-Regiments 52 nach Belgien war der Krieg nun wieder äußerst greifbar zurückgekehrt.

Sowohl von der Stadtbevölkerung als auch von den Behörden der Stadt wurde die Ankunft der fremden Truppen mehrheitlich mit großer Skepsis erwartet. Zudem kam es sogar zu einem ausgeprägten Sensationshunger, als die ersten russischen Kriegsgefangenen die Stadt durchquerten und die Polizei die herbeigeeilten Menschenmengen zurückhalten musste. In der Presse fanden sich gleichzeitig Leserbriefe, die von den Gefangenen als »Räuber und Mordbrenner« und als Überträger »bösartiger Epidemien« sprachen. Oberbürgermeister Dreifert als höchster Vertreter der Stadtverwaltung befürchtete gegenüber den von ihm sogenannten »unerwünschten Mitessern« hingegen wirtschaftliche Nachteile. So vermutete er unter anderem einen Preisanstieg bei den Lebensmittelpreisen, wohingegen eine Belebung des Handwerks durch den Bau des Lagers nur von kurzer Dauer sei.

Die Militärbehörden sahen sich vor ganz andere Herausforderungen gestellt. Das Kriegsministerium hatte schon im September 1914 reichsweit verfügt, dass die Kriegsgefangenen möglichst »dauernd und angestrengt« zu beschäftigen seien. Der Hintergrund für die Beschäftigungsmaßnahmen der Kriegsgefangenen, die am Ende des Krieges die Zahl von 2,5 Millionen erreichte, war eine beständige Disziplinierung durch Arbeit. Unter dieser Vorgabe wurden die russischen Internierten des Cottbuser Lagers zunächst vor allem zu Meliorationsarbeiten entlang der Spree eingesetzt. Mit dem Fortschreiten des Krieges und dem beständigen Abzug von Arbeitskräften an die Fronten wurden die Kriegsgefangenen zu einer wichtigen wirtschaftlichen Ressource. Sie wurden ab 1915 im Cottbuser Raum im Braunkohleabbau und in der Landwirtschaft eingesetzt. Auch im Lager selbst sowie im städtischen Handwerk fanden sie vermehrt als Schumacher, Tischler oder Schneider Verwendung.

Waren im Kriegsgefangenenlager zunächst nur russische Soldaten interniert, stieg die Anzahl der Nationalitäten im Laufe der Monate ständig an. Bis 1918 erreichten auch Franzosen, Engländer, Serben, Rumänen, Belgier, Italiener und Portugiesen das Lager. Die Lebensumstände und die Behandlung der Soldaten variierte dabei je nach Herkunft sehr stark. Wurden Franzosen und Engländer durch ihre Heimat in Form von Hilfspaketen relativ gut unterstützt, war eine Versorgung der russischen Soldaten mit Nahrung und Kleidung durch ihre Regierungen nahezu nicht existent. Die steigende Zahl der Gefangenen sowie das äußerst beengte Zusammenleben im Sielower Lager, das zum Ausbruch einer Fleckfieber-Epidemien führte, machte den Bau eines zweiten Lagers für weitere 10.000 Gefangene ab 1915 in Merzdorf nötig. Die 22.000 Insassen beider Lager waren nun allgegenwärtig im Stadtbild von Cottbus, das eine Einwohnerzahl von etwa 50.000 Menschen hatte.

Während der Großteil der Gefangenen bald nach dem Kriegsende im November 1918 den Weg in ihre Heimat antreten konnte, verzögerte sich die Rückkehr der russischen Insassen über viele Monate. Grund war das Fehlen funktionierender Behörden in dem durch Revolution und Bürgerkrieg zerfallenen Zarenreich, die die Rückkehrer hätten aufnehmen können. So verblieben viele bis 1920 im Lager, während sie weiterhin in der Umgebung arbeiteten. Einer von jenen, die hier Wurzeln schlugen, war der Salomon Etis. 1920 heiratete er eine Cottbuserin, bekam mit ihr zwei Kinder und eröffnete als Schneidermeister in der Nordstraße ein Geschäft. Sein Schicksal war auch weiterhin eng mit der deutschen Geschichte der folgenden Jahre verbunden. Aufgrund seines jüdischen Glaubens wurden er und sein Sohn 1938 in das KZ Dachau verschleppt. Jedoch konnte er noch 1939 mit seiner Familie nach Bolivien emigrieren.

Quellen:

Stadtarchiv Cottbus (A.II.3e.2, A.II.3e.3, A.II.3e.4) | Oltmer, Jochen: Kriegsgefangene im Europa des Ersten Weltkrieges, Paderborn / München 2006. |

Onlinequellen:

Digitale Ausstellung »Ankunft auf Zeit. Die Cottbuser Kriegsgefangenenlager von 1914 bis 1924«, Link: https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/lager-cottbus/ | Namensverzeichnis der Juden in der Niederlausitz A-L, Link: http://www.luckauer-juden.de/nvz1.html | Stanek, Piotr: Kriegsgefangene und Internierungslager in Cottbus, Link: https://www.prolusatia.pl/ksiaznica/artykuly/289-obozy-jenieckie-i-obozyinternowania-w-chociebuu.html

Autor: Paul Fröhlich

Bildquelle: Lagergeld aus den Cottbuser Kriegsgefangenenlagern, (c) Thomas Richert

Zurück